Jens Kerbel

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Eröffnung der 31. Duisburger Akzente

 

ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST

(Eine AusEinAnderSetzung)

 

Nach einer Idee von Tim Isfort

 

 

Foto: Stephan Eickershoff (WAZ)

 

 

 

 

Der Komponist, Arrangeur und Musiker Tim Isfort hatte die Idee, in einer spielerischen Folge aus Szenen, Texten, Filmen und Musik zu diskutieren, ob Fortschrittsglaube und Ökonomisierung nicht längst unser Dasein durchwirkt haben und unsere Gesellschaft in „Haber“ und „Habenichtse“ aufgespalten ist. In einer facettenreichen Collage werfen Schauspieler, Musiker und Künstler verschiedenster Genres Schlaglichter auf die „Schöne neue Arbeitswelt“ und fragen nach dem Preis des Fortschritts. Mit dabei sind u.a. die Schauspielerinnen Irm Herrmann und Eva Verena Müller, der Rezitator Lutz Görner, das Maskentheater „Familie Flöz“, ein Ensemble der Duisburger Philharmoniker, das weibliche Percussion-Duo „Ttukunak“ und als Special Guest der Percussion-Virtuose Trilok Gurtu, der u.a. durch seine Zusammenarbeit mit John McLaughlin, Jan Garbarek oder der Gruppe Oregon weltbekannt wurde.

 

 

Musikalische Leitung: Tim Isfort, Christian Kreihsler

Inszenierung: Jens Kerbel und Jennifer Whigham

Bühnenkonzept: Tim Isfort

Kostüme: Sigrid Trebing

Filme: Frank Bergmann

Script: Jens Kerbel

Textrecherche: Antek Krönung

Licht: Jochen Jahnke und Markus Steinebach

Videoregie: Michael Pötters und Carsten Wittka

Tonregie: Thomas Block und Frank Stuckstedde

 

Mit: Irm Herrmann, Eva Kurowski, Eva-Verena Müller, Noah Chorny, Lutz Görner, Maskentheater "Familie Flöz", Uli Masuth, , Raphael Rubino

 

Musik: Peter Bolte, Lars Kuklinski, Thorsten Töpp, Till-o-mat Steinbach, Tim Isfort, Tukunak, Poedra und das Orchester der Duisburger Philharmoniker

Special Guest: Trilok Gurtu

 

 

Premiere zur Eröffnung der 31. Duisburger Akzente:Mai 2008, Kraftzentrale im Lansdchaftspark Nord, Duisburg

 

 

 

PRESSE:

 

WAZ, 18.05.2008

 

Duisburger Akzente eröffnet. Vom Glück der Arbeit

 

Die Aufspaltung der Gesellschaft durfte das Publikum bei der Eröffnung der 31. Duisburger Akzente am eigenen Leib erfahren.

 

Während ein Teil des Publikums den Vordereingang der Kraftzentrale benutzen konnte, blieb für die anderen nur der Hinterausgang. Womit der Titel der Eröffnungs-Show „Ich sehe was, was Du nicht siehst” auf zwei Bühnenseiten in der abgeteilten großen Halle theatralische Wirklichkeit und damit dem Akzente-Thema gerecht wurde. Dieses setzt sich bekanntlich mit den Gewinnern und Verlierern in einer globalisierten Arbeitswelt auseinander. 

 

„Was uns beschäftigt” fragen die Akzente, an deren Geschichte zunächst Oberbürgermeister Adolf Sauerland erinnerte. Und auch Kultur-Staatssekretär Hans-Heinrich Große Brockhoff ging auf die gesellschaftliche und historische Dimension des Themen-Festivals ein, das sich auf die bevorstehende Schließung der letzten Duisburger Zeche beziehe und damit die abnehmende Bedeutung industrieller Produktion verdeutliche. Große-Brockhoff lobte das Duisburger Festival, das vor 30 Jahren in dem Geist gegründet worden war, durch Kunst und Kultur eine Kompensation der fremdbestimmten Arbeit zu schaffen. „So geht es aber heute darum, mittels der Kunst und der Kultur eine Kompensation der fremdbestimmten Wahrnehmung zu schaffen. Dank Kunst und Kultur, wie wir sie ab heute hier erleben dürfen, können wir wieder lernen, selbstbestimmt zu sehen, zu hören und zu fühlen.” 

 

Nachdem Alfred Biolek als nicht unbedingt mitreißender Festredner seine eigene Geschichte als „Glücksfall” einer persönlich befriedigenden Arbeits-Biographie präsentiert hatte, gab es für das Akzente-Publikum eine über 90-minütige musikalisch-szenische Collage zu sehen. Trotz gewisser Längen bot diese muntere Show mit der intelligent arrangierten Musik von Tim Isfort ein spannendes Zusammenspiel der vielen Akteure. Dabei war es schon erstaunlich, dass mit nur wenigen Proben eine Produktion auf solch hohem Niveau entstehen konnte, die ansonsten auch der Ruhr-Triennale zur Ehre gereicht hätte. Wie die Schauspielerin Irm Herrmann, die Masken-Familie Flöz, der Percussionist Trilok Gurtu, der Kabarettist Helmut Masuth, die Sängerin Eva Kurowski und die Musiker der Duisburger Philharmoniker in dieser Show zusammenkamen, dies war schon beachtlich.

 

Von Thomas Becker

 

 

 

NRZ 19.05.2008

 

Bewusstseinsarbeit am laufenden Band

 

Festivals: „Was uns beschäftigt“: Eröffnung der 31. Duisburger Akzente mit Alfred Biolek und einer Bühnencollage.

 

Duisburg. Soll bloß niemand sagen, „Alfredissimo“ sei keine Arbeit gewesen! Alfred Biolek gab der Eröffnung der 31. Duisburger Akzente ein gleichermaßen launiges wie nachdenkliches Gesicht. Arbeit als Selbstverwirklichung: Dem Fernseh-Maestro ist bewusst, dass er sich damit in einer äußerst komfortablen Lage befindet. Vielleicht sei es geboten, andere Werte in den Mittelpunkt zu stellen.

Leben um zu arbeiten, oder arbeiten um zu leben? Nur einer von vielen Akzenten am Freitagabend. Der gewitzte Titel des stets themenorientierten Festivals – „Was uns beschäftigt“ – lässt reichlich Assoziationen zu: Nokia, Globalisierung, Siemens, Hartz IV, Mindestlohn, Preis des Fortschritts, Ellenbogen oder Kameradschaft, schöne neue Arbeitswelt, Zwei-Klassen-Gesellschaft, Heuschrecken, the winner takes it all.

 

Das gadenlose Vorstandsvaterunser

 

Wer aus all dem eine Eigenproduktion schnüren will, hat sich viel vorgenommen. Man kommt leicht ins Schwitzen angesichts der schnellen Wechsel von „Ich sehe was, was du nicht siehst“, die zur Akzente Eröffnung inszeniert wurden. In einem überdimensionalen Setzkasten predigt die hervorragende Irm Hermann das gnadenlose Vorstandsvaterunser – „Schauen Sie, ein Premiumprodukt braucht auch Premiumprofit“ – und ein schmieriger Typ wirbt für Hedgefonds. Der Kapitalismus kommt nicht als Monster daher, eine üble Visage hat er aber doch.

Dem gegenüber stehen Familie Flöz mit ihrer poetischen Menschlichkeit und die Berichte eines Zeitarbeiters und eine Friseurin über ungerechten Lohn und Nachtschichten.

Die Duisburger Symphoniker lassen Arbeit dazu mal locker leicht, mal ganz und gar bedrohlich klingen.

Man würde bei der einen oder anderen Idee gerne länger verweilen in dieser Collage von Tim Isfort, Jens Kerbel und Jennifer Whigham, die am ende ein bisschen beliebig wirkt, wenn auch noch Hip-Hopper und ein Akrobat eingebunden werden müssen. Was mehr noch hängen bleibt als die Stimme von Rezitator Lutz Görner, sind die Stimmen der Verlierer. Das ist Programm. „Auch und gerade den kleinen Mann“, so Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland, wollen die Akzente „helfen bei der bewältigung von Lebensfragen.“

 

Solidaritätsapplaus der Anzugträger

 

Was aber mögen die Walsumer Bergarbeiter, denen bald die Schließung ihrer Zeche ins Haus steht und die hier in Videoprojektionen vorkommen, vom Solidaritätsapplaus der Anzugträger halten? Wie würde ein Langzeitarbeitsloser reagieren auf das Eröffnungsspiel der Akzente? Man weiß es nicht, denn, wie Uli Masuthals oberzynischer Moderator erkennt: „Die’s betrifft, sind heute Abend eh nicht da.“

Dass es ein schmaler Grat ist zwischen angemessenem Festivalglanz und Bürgerferne, wissen die Akzente-Macher. Mit A- und B- Plätzen zu zwei Seiten der Bühne unternehmen sie am Premierenabend den Versuch, die sorglosen Gäste ins Grübeln zu bringen. Bleibt zu hoffen, dass das Grübeln während der Tanz- und Theateraufführungen, Vorträge und Diskussionen der beiden kommenden Wochen anhält. Ein Festival für Walsum, für den kleinen Mann – das wird ein hartes Stück Arbeit.

 

Von Helen Sibum

 

 

 

NRZ, 19.05.2008

 

Ihr da hinten, wir hier vorn

 

Festival. Die Eigenproduktion zur Akzente-Eröffnung machte die Trennung der Gesellschaft augenfällig. Festvortrag enttäuschte.

 

Ihr da oben, wir hier unten. Ihr da hinten, wir hier vorn. Die zunehmende Teilung unserer Gesellschaft in Reiche und Arme machte bei der Eröffnung der Akzente am Freitag im Landschaftspark Nord der Bühnenaufbau für die Eigenproduktion „Ich sehe was, was du nicht siehst“ bereits eingangs des Abends augenfällig. Er teilte die riesige Kraftzentrale in zwei bereiche, die nur getrennt zugänglich waren.

 

Welchen Eingang sie nutzen durften, wies den Besuchern ein A oder B auf der Eintrittskarte. Ob sie damit zu den Gewinnern oder Verlierern des Abends gehörten, konnten sie hernach selbst entscheiden. Denn der Sozialneid auf den jeweils anderen Teil des Publikums, der angeblich mit Champagner und Häppchen verköstigt worden war, wurde auf den Seiten der Bühne kräftig geschürt. Allerdings äußerten so einige aus dem mit städtischer Prominenz gefüllten A-Bereich ihr Bedauern, nicht im B-Bereich gesessen zu haben. Basierend auf dem vermeintlich untrüglichen Gefühl, die B-ler hätten den besseren Teil der Inszenierung zu Gesicht bekommen.

 

Eine Frage der Perspektive

 

Alles eine Frage der Perspektive und insofern eine gelungene Aufführung dieser sehr kunst- und sinnvollen Akzente-Eigenproduktion, die das Thema „Was uns beschäftigt“ oft treffender behandelte als der Festvortrag von Alfred Biolek. Soll es doch bei diesen Akzenten um den Wert und die Zukunft der Arbeit gehen, die sowohl Oberbürgermeister Adolf Sauerland als auch NRW-Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff in ihren kurzen Reden angesprochen hatten. Beide nahmen dabei Bezug auf die Schließung der Zeche Walsum, wobei der OB betonte, dass Kohle und Stahl diese Region zwar groß gemacht, diese Monostruktur aber auch wirtschaftliche Probleme hervorgerufen habe. Auch die Kultur- und Kreativwirtschaft schaffe neue Arbeitsplätze. Grosse-Brockhoff ging noch einen Schritt weiter. Die Schließung der letzten Zeche in Duisburg verdeutliche symbolhaft die abnehmende Bedeutung der industriellen Produktion. Kreativität und Innovationskraft seien im globalen Wettbewerb unerlässlich. Kunst und Kultur hätten die Aufgabe Kreativität als Fähigkeit selbst bestimmter Wahrnehmung zu vermitteln.

 

Vom Wert der Arbeit

 

Biolek hingegen skizzierte den Status quo. Zitierte Lieder von Hannes Wader („Heute hier, morgen dort“) und ABBA („The winner takes it all“) und plädierte mit Hermann Hesses Worten aus „Lebensstufen“ dafür, nicht jede Veränderung negativ zu sehen.

Ein kleiner Ausflug in die Herkunft des Wortes „Arbeit“ gipfelte in der Erkenntnis: „Wir müssen aufpassen, dass der Begriff Arbeit seinen mühsam erworbenen positiven Beiklang nicht verliert.“

Die Frage „was ist Arbeit“ beantwortet Bio mit einem kurzen Abriss seiner Karriere, während derer er immer Neuem aufgeschlossen gewesen sei, auch und gerade weil es Spaß gemacht habe. Und er habe wahrlich viel gearbeitet in seinem Leben, auch bei der Kochshow „Alfredissimo“. Allerdings war so mancher Küchenwein, den er dabei geöffnet hat, spritziger als seine Festrede. […]

 

Von Ulla Saal

 

 

 

Rheinische Post, 19.05.2008

 

Arbeit blieb Stückwerk

 

Duisburg. In der Kraftzentrale wurden die 31. Duisburger Akzente mit dem Titel „Was uns beschäftigt“ eröffnet. Nach Grußworten und der Rede von Alfred Biolek gab’s die Eigenproduktion „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

 

Das Publikum in der ausgebuchten Kraftzentrale war bei der Akzente-Eröffnung in eine Gruppe A und eine Gruppe B unterteilt, getrennt durch eine mittig platzierte Bühne. Randi Crott, die Moderatorin der – wie fast immer – überaus aufwändig inszenierten Eröffnung, nutzte dieses Arrangement, um keck in das Thema „Arbeitswelt“ einzuführen.

Leider, so sagte sie dem Publikum von Angesicht zu Angesicht oder über eine große Leinwand-Videoprojektion, gebe es die leckeren Häppchen und den Sekt nur auf der anderen Seite der Bühne. So sei das eben im Arbeitsleben, die einen bekommen alles, die anderen fast nichts. Es herrsche auch hier, wie jedermann wisse, eine Zweiklassengesellschaft. – Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff vermasselte die Pointe, als er in seinem Grußwort versicherte, dass auch er, Inhaber einer Karte der A-Kategorie, keineswegs Häppchen und Schampus genießen könne, obwohl „ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen habe“. Im Übrigen, so Grosse-Brockhoff wieder auf der Höhe des Festival-Themas, sei es mutig, die bevorstehende Schließung des Walsumer Bergwerks in die Festivalwochen einzubeziehen.

 

Lebenswirklichkeit

 

Die Akzente, so der Kulturstaatssekretär an anderer Stelle, hätten die Aufgabe, die „fremdbestimmte Wahrnehmung“, die auf die Menschen wirke, auszugleichen. Kultur fördere die Kreativität, die Grosse-Brockhoff als „Fähigkeit, Dinge zu verändern“, umschrieb. Oberbürgermeister Adolf Sauerland, der bereits zuvor die Schließung der Zeche Walsum angesprochen hatte und dabei auch das Schicksal der Betroffenen in den Blick nahm, zog einen Bogen von den aktuellen 31. Duisburger Akzenten zu den dritten. Damals, im Jahr 1979, hieß das Thema „Kleiner Mann, was tun?“. Damals wie heute gehe es um die Lebenswirklichkeit.

Nach Alfred Bioleks Rede (siehe unten) wurde die Duisburger Eigenproduktion „Ich sehe was, was du nicht siehst – Eine AusEinAnderSetzung“ uraufgeführt. Unter der Gesamtleitung des Musikers und Arrangeurs Tim Isfort und mit Beteiligung von zwei Regisseuren (Jens Kerbel und Jennifer Whigham) wurde eine zweistündige Collage geboten, an der der bekannte Percussionist Trilok Gurtu, die prominente Schauspielerin Irm Hermann, der Rezitator Lutz Görner, der Akrobat Noah Chorny, das Maskentheater „Familie Flöz“, mehrere Musiker, darunter auch Mitglieder der Duisburger Philharmoniker, Filmemacher und weitere künstlerische Akteure mitwirkten.

 

Starke Szenen

 

Einige starke Szenen waren dort zu erleben, die Techniker, die in nur drei Tagen Sagenhaftes geleistet hatten, verdienen ein Extralob. Allerdings blieb die Collage Stückwerk, verlor mitunter den Roten Faden ihres Themas, das anfangs dick aufgetragen wurde. Der Duisburger Kabarettist Uli Masuth griff geschickt das Pathos der traurigen Arbeitergeschichten auf, um sarkastisch die Wendung des Abends zu mehr Leichtigkeit einzuleiten.

Es gab schon stärkere Eröffnungsveranstaltungen der Akzente, die in diesem Jahr erstmals nur zwei statt der sonst üblichen drei bis vier Wochen dauern.

 

Von Peter Klucken

 

 

 

Ruhrbarone, 02.06.2008 (Gespräch mit Tim Isfort)

 

Duisburger Akzente - Wer beschäftigt hier wen?

 

Am 1. Juni gingen die 31. Duisburger Akzente zu Ende. Und es ist ein Kulturfestival das mit dem Rücken zur Wand steht, denn: Geld für Kultur auszugeben ist unpopulär, vor allem bei der Duisburger FDP, wie man hört. „Was uns beschäftigt“ heißt dann auch noch das diesjährige Motto, unter dem sich die Künstler schon einmal präventiv mit den (anderen) Arbeitslosen solidarisieren dürfen.

 

Festakt zur Eröffnung Mitte Mai, ein Freitag Abend. Die Presse sammelt sich um Alfred Biolek – sie kennt ihn wohl aus dem Fernsehen, und das merkt man den Artikeln am nächsten Tag auch an. Dabei könnte man die Hauptakteure des Kernstückes des Abends, „Ich sehe was, was du nicht siehst.“, auch kennen: Tim Isfort (musikalische Leitung), Eva Verena Müller (gekürt als „beste Schauspielerin NRWs“), Irm Hermann (bekannt aus Funk und Fernsehen), Uli Masuth (Kabarettist), Eva Kurowski(Sängerin), Trilok Gurtu (weltbekannter Percussionist), etc. Eigentlicher Star aber ist die Bühne, denn sie teilt das Publikum in A und B, also in eine Zweiklassengesellschaft auf. Mal kurz buchstabiert: A sieht nicht was B sieht, und umgekehrt. B hört aber was A macht, und umgekehrt. Das Stück spricht zu beiden Gruppen. Das kann (und soll) zu Irritationen führen, so am Eröffnungstag, als Zuschauerraum A tatsächlich die geladenen Gäste beherbergt und B diejenigen die für Kultur gerne auch mal selbst bezahlen. Viele aus A verstehen nicht, dass es B tatsächlich gibt, wie Tim Isfort bestätigt: „Es gab Fragen, ob das nicht etwas kühn gewesen wäre mit den Lautsprechern aus denen der Applaus kommt.“ Von B sind diesbezügliche Irrtümer übrigens nicht bekannt und auch vom zweiten Tag mit freier Platzwahl nicht. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Kulturschickeria der Region (A!) sich mit Kultur gar nicht auskennt?

Zum Stück: Verschiedene Künstlergruppen haben ihre Ideen eingebracht bei „Ich sehe was,…“, und so ist eher ein „StückWerk“, eine „Collage“ (Isfort) entstanden, worin verschiedene Facetten der heutigen Arbeitswelt (und des Diskurses darüber) dargestellt werden – nein, nicht „beleuchtet werden“, beleuchtet wird die Bühne und teils auch das Publikum sehr fachgerecht, wie auch Klang und sonstige Bühnentechnik gut funktionieren – was keine einfache Angelegenheit ist bei einer zweiseitigen und mehrgeschossigen Bühne in der Kraftzentrale des Landschaftsparks. Ebenso komplex die Proben mit den Darstellern. „Es gab nur zwei Proben mit dem vollständigen Ensemble“, so Isfort, und erklärt zum Procedere vor der Geburt des Stückes: „Die Promis sind ein ergänzender Baustein, zum lobenswerten neuen Konzept des Festivalbüros, eine Mixtur aus lokalen / regionalen Kreativkräften und eben Publikum ziehenden Namen zu kombinieren. Natürlich ist das ein schmaler Grat: zwischen inhaltlich / politisch passend und hilfreich für die Besucherzahlen.“ Da muss dann anscheinend auch mal improvisiert werden (oder Biolek eingebaut) – und dabei die Kunst nicht vergessen.

 

Fest steht: Es ist kalt und unkomfortabel in diesen Hallen und die Grundvoraussetzungen für Kunst (jenseits von Selbstzweck) werden nach wie vor verschlechtert. Da kann sich auch ein ambitioniertes und vielschichtiges Stück wie „Ich sehe was…“ im Grunde nur bemühen potentiell alle Bevölkerungsschichten anzusprechen und trotzdem Inhalte zu vermitteln: Eine Kindertheatergruppe! Dann Paul Virilio! Dann Stangenakrobatik! Ein jazziger Chanson! Goethe und Aristoteles! HipHop! Mary Shelley! Hüsch! Eine Taxifahrer-Liebesgeschichte! Filme (von Frank Bergmann) auf der Leinwand! Exotische Instrumente! Ezra Pound! Komisch, gar keine Tiere, aber manchmal sieht man Tim Isfort wie einen Zirkusdirektor in all dem Getümmel und ärgert sich prompt, wenn die billigen Plätze mal wieder nur der Stangenakrobatik Szenenapplaus gewähren oder die teuren Plätze nur der mit dem schönsten Kleid. Aber eigentlich geht es hier doch nun mal um Unterhaltung, oder? Ja?

„Wir hatten auch überlegt, einmal Hartz IV Empfänger einzuladen“, so Isfort. „Vielleicht können wir das, wenn das Stück woanders neu aufgenommen wird. Es gibt sogar eine Idee, wie das in normal gebauten Stadttheatern funktionieren kann.“ Man wünscht ihm Glück für sein Füllhorn voller Ideen und Perspektiven, das die AusEinanderSetzung verdient die es thematisiert, dramatisiert und auch noch im Untertitel trägt. […]

 

Von Jens Kobler

 

 

 

 

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"Nach Lage der Dinge dämmert es manchem inzwischen, dass Gesellschaften, bei denen der Ökonomismus nicht im Zentrum aller Antriebe steht, aufgrund ihrer geregelten, glaubensgestützten Bedürfnisbeschränkung im Konfliktfall eine beachtliche Stärke oder gar Überlegenheit zeigen werden. Wenn wir Reichen nur um minimale Prozente an Reichtum verlieren, so zeitigt das in unserem reizbaren, nervösen Gefüge nicht nur innenpolitische Folgen der politischen Innerlichkeit, den impulsiven Ausbuch von Unduldsamkeit und Agression. (Botho Strauss)