Jens Kerbel

 

FOTOGALERIE 

 

 

Willy Russell

 

RITA WILL'S WISSEN (EDUCATING RITA)

 

Deutsche Fassung von Angela Kingsford-Röhi

  

 

 

 

 

 

Frank, ein frustrierter Universitätsprofessor für Literatur von Anfang 50, hat sich einen Erwachsenen-Bildungskurs für Quereinsteiger aufs Auge drücken lassen. In Erwartung seiner nächsten Einzel-Kursteilnehmerin stellt er schon mal den Whiskey zum Runterspülen seiner Unzufriedenheit bereit. Denn was soll schon kommen? Da platzt Rita in sein Arbeitszimmer, 26 Jahre alt, von Beruf Friseuse und überhaupt nicht auf den Mund gefallen. Sie nimmt sich selbst auf die Schippe, nennt den Literaturkurs »Bildung für Blödis« und hat den Professor mit ihrer unverblümten Art schon bezaubert, noch ehe der erste Seminartag vorbei ist. Eigentlich heißt Rita mit Vornamen Susan, doch wegen ihres großen Vorhabens, ein literarisch gebildeter Mensch zu werden, nennt sie sich Rita nach der amerikanischen Bestsellerautorin Rita Mae Brown (von deren Büchern Frank noch nie eins gelesen hat). Ja, Rita mag durchaus auch Gedichte, aber solche, über die Frank wohl nur die Nase rümpfen würde, wie die junge Frau vermutet. Denn ihre Lieblingsgedichte kann man verstehen! Von nun an treffen sich die beiden wöchentlich, um Rita auf das Literaturexamen vorzubereiten, das sie unbedingt ablegen will, um »im Leben eine Wahl« zu haben.
Völlig unbefangen und mit nichts als ihrem gesunden Menschenverstand betrachtet Rita die großen Werke von Ibsen, Shakespeare und Tschechow, über die sie nun Aufsätze schreiben muss. Deshalb ist Frank skeptisch, ob Rita je die Voraussetzungen für das Examen erfüllen wird. Auch wenn er es sich nicht eingestehen will, wartet er jede Woche sehnsüchtig auf die »frische Brise«, die Rita nicht nur in sein Büro, sondern auch in sein Leben bringt. Und nicht nur die Schülerin lernt im Laufe des Kurses ihre Lektion.

»Rita will’s wissen« ist eine intelligente Konversationskomödie und eine warmherzig erzählte Geschichte zugleich. Die Komödie spielt mit Klischees und stellt sie gleichzeitig in Frage. Autor Willy Russell hat sein Geld vor diesem 1980 entstandenen Stück übrigens selbst als Damenfriseur verdient und an der Abendschule einen Literaturkurs absolviert. Mit der bildungshungrigen Rita legte er den Grundstein für eine überaus erfolgreiche Karriere als Theater- und Musicalautor.

 

 

 

Das neue Stück im Komödienhaus ist eine große, warmherzige und mit intelligentem Witz gespickte Liebeserklärung an die Literatur. Romane, Gedichte und Theaterstücke haben in Willy Russells Komödie „Rita will’s wissen“ keine geringere Funktion, als der weiblichen Heldin, einer weder auf den Mund noch auf den Kopf gefallenen Friseurin, beim Aufbruch in ein neues, selbstbestimmtes Leben zu helfen. Seinen Humor bekommt das Stück, weil hier zwei Charaktere aufeinandertreffen, wie sie gegensätzlicher kaum sein können: Frank, ein frustrierter Literaturprofessor und dem Alkohol zugeneigter Dichter, und Rita, eine 26jährige Friseuse, die einen Erwachsenenbildungskurs in Literatur absolviert. (Ankündigungstext Theater Heilbronn)

 

 

Inszenierung: Jens Kerbel

Ausstattung: Carla Friedrich

Licht: Michael Herold

Dramaturgie: Andreas Frane

 

Mit: Juliane Götz und Stefan Eichberg

 

 

 

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PRESSE:

 

Heilbronner Stimme, 30.11.15

 

Risikofaktor in Bonbonfarben

 

Heilbronn. Jens Kerbel inszeniert Willy Russells "Rita will's wissen" im Komödienhaus

 

von Andreas Sommer

 

Bildung ist alles, sie öffnet Perspektiven, die eigenen Talente zu entfalten. Gute Bildung ist der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe, sozialen Aufstieg und verschafft uns die Fähigkeit, sich, andere und die Welt zu reflektieren. Rita, eine 26-jährige Friseuse aus der englischen Arbeiterschicht, hat sich ein großes Stück Wissbegierde bewahrt und meldet sich in einem Literaturkurs an.

Dort trifft sie auf den zynischen Professor und Ex-Schriftsteller Frank, der ein Alkoholproblem hat und seine Studenten ähnlich hasst, wie Rita ihre Kundinnen. Ritas ebenso naiver wie unerschrockener Auftritt fasziniert den Bücherwurm, der ihre Art, Dinge intuitiv richtig zu sehen, wie "eine frische Brise" in seiner hermetisch abgeschlossenen Welt empfindet.

 

Buchseiten

 

Wie sich diese Beziehung vertieft und dabei großen Belastungen ausgesetzt ist, beschreibt der Brite Willy Russell in seiner autobiographisch gefärbten und in weiten Teilen glänzend geschriebenen Dialogkomödie "Rita will's wissen". Im Heilbronner Komödienhaus wurde die Premiere der Inszenierung von Jens Kerbel am Samstagabend mit viel Beifall bedacht.

Allein schon die Bühne von Carla Friedrich, die ein wenig über die Rampe in den Saal ragt, ist eine Verbeugung vor der Literatur und dem geschriebenen Wort. Die Wände und der Boden in Franks viktorianisch angehauchtem Arbeitszimmer bestehen aus Buchseiten und Buchrücken inklusive den Geheimfächern für Franks Schnapsvorrat. In diesem "seit Generationen" ungelüftenen Zimmer prallen die Welten von Frank und Rita ungefiltert aufeinander. Hier der zynische, vom Leben gezeichnete, gelangweilte und selbstmitleidige Literat in den Fünfzigern, dort die ordinäre, geschwätzige und völlig unbefangene Friseuse Mitte 20, ein kleiner Risikofaktor, wie Frank sie nennt.

 

Rita will lernen, ganz ohne Hintergedanken und nur um des reinen Wissens willen. Bildung ist für sie - und Willy Russell - ein Wert an sich, den man anstrebt, um geistig zu reifen. Das rührt den abgebrühten Frank an, den die junge Frau immer wieder mit entwaffnend einfachen Antworten und Argumenten überrascht. Immerhin kennt sie im Gegensatz zu Frank die feministische US-Autorin Rita Mae Brown, nach der sie sich sogar benannt hat.

Was folgt, ist ein intelligent gesetzter Schlagabtausch der beiden Figuren, der besonders im ersten Teil und eher leise amüsiert. Jens Kerbels sorgfältige Inszenierung, die mit zweidreiviertel Stunden einen  Tick zu lang geraten ist, betont nicht nur den Witz, sondern lässt dem Ernst und der Tiefe des Textes viel Raum, der sich um Klassenschranken, Identitätssuche und Selbstbestimmung dreht, wenn sich Rita etwa weigert, gegen den Willen ihres bildungsfernen Ehemanns schwanger zu werden.

 

Außenseiterin

 

Als frustrierter Literat Frank überzeugt einmal mehr Stefan Eichberg, der souverän zwischen Ironie, Desillusionierung, Absturzgefahr, Verlegenheit und Verzweiflung pendelt. Juliane Götz' Rita ist eine schrille Außenseiterin mit ausgeprägter Mimik, die sich zu einer ernsthaften Literaturkennerin entwickelt. Ihr Spiel erinnert an das der britischen Nervensäge Sally Hawkins in Filmen wie "Happy-go-lucky" von Mike Leigh (2008) und "Blue Jasmine" von Woody Allen (2013). Juliane Götz ist ganz Emotion und Intuition in pink, mintgrün, türkis und anderen Bonbonfarben und überzieht dabei nur selten. Dass sie am Ende als "Freak" zwischen den Stühlen ihrer Arbeiterherkunft und dem Akademikerneuland sitzt, macht den Reiz der Entwicklung dieser Figur aus. Ende offen.

 

 

 

LKZ, 30.11.2015

 

Von der Langsamkeit des Seins

 

"Rita will's wissen" in der Fassung von Angela Kingsford-Röhi am Heilbronner Theater zwischen Humor und Nachdenklichkeit

 

von Arnim Bauer

 

Heilbronn. Immer wieder an deutschen Theater gerne gspielt ist Willy Russells Variante des Pygmalion- Effekts, die der englische Autor unter dem Originaltitel "Educating Rita" schon 1980 geschrieben hat. 1983 wurde die Geschichte vom desillusionierten, zynischen und trinkenden Universitätslehrer Frank und der wissenddurstigen Friseurin Rita, die bei ihm ein Examen anstrebt, verfilmt.

 

Am Heilbronner Theater hatte das Stück Premiere, uns zwar in einer deutschen Fassung von Angela Kingsford-Röhi. Inszeniert hat das Zwei-Personen-Stück Jens Kerbel. Die Bühne kommt mit einem Bild aus, ein Studierzimmer, die Wände und der Boden als Literaturfundus, stilisierte Schränke, darin Schubfächer mit Büchern, aus denen der Professor stets ein Fläschchen hervorzuziehen weiß.

 

Bleiben wir noch bei der Ausstattung: Wir sehen zu Beginn gleich Rita im Gespräch mit dem Professor. Sie schrill, poppig aufgebrezelt, eine Friseurin wie man sie sich mit allen Klischees vorstellt. Er im ebenfalls karikierenden Karo-Gewand. Alles sehr bewusst ein wenig überdreht, ins Absurde gehend. So lässt Kerbel auch die Handlung laufen. Immer ein wenig mehr, sehr ausführlich, manchmal ausufernd, hie und da einfach überflüssig lang. Aber er gibt der Inszenierung dadurch auch Raum, sich auszubreiten, zu erzählen. Die Entwicklung der Charaktere kann dadurch genau nachvollzogen werden, besonders die Wandlung der Rita.

 

Aber insgesamt kann man die Qualität, die eine gewisse Langsamkeit in diesem Fall in sich trägt, auch gegen die Leerläufe aufwiegen, ob bei Kostümen, Textlänge, manchen an sich gut gesetzten bewussten Pausen. Oftmals ist es allerdings ein klein wenig zu viel des Guten. Aber da es Kerbel gelingt, diesen Stil von Anfang bis Ende konsequent durchzuhalten, hat die Inszenierung Rhythmus, strahlt Ruhe aus, obwohl die Zeitsprünge zwischen den einzelnen, häufig wechselnden Szenen das Risiko des Chaos in sich tragen. Hier aber geht es nachvollzieber durch die Zeit, eine Komödie, deren Humor eher stiller Art ist, Die auch Tiefen und Untiefen ihrer Figuren auslotet. Ihr offener Schluss beweist, dass es kein brachiales Happy-End braucht, um den Abend abzurunden.

 

Zum gelingen dieser letztendlich zur Charakterstudie neigenden Komödie tragen natürlich die Schauspieler Wesentliches bei. Juliane Götz, die die schrill inszenierte Rita in ihren Veränderungen punktgenau zu zeigen weiß, Stefan Eichberg, der den Professor eher zurückhaltend, den Sarkasmus und Zynismus seiner Figur eher andeutet als herauskehrt. So geben beide nachvollziehbare Einblicke in das Seelenleben ihrer Figuren.

Eine Komödie, die wahrlich nicht nach den Schenkelklopfern sucht, sondern mit sehr fein gesponnenem Humor eine durchgängige Geschichte erzählt die Spaß macht und doch berührt.

 

In diesem Kontext wird auch die demonstrative Langsamkeit der Inszenierung sinnreich. Denn sie tritt in mutiger, ja eigensinniger Weise gegen die Vorstellung an, eine Komödie müsse mit den Begriffen "temporeich", "spritzig", "turbulent" oder Ähnlichem reüssieren können. Und hier der Beweis: Lustig geht auch anders, erzählender, geruhsamer. Dafür aber anregender und gedankenvoller. Macht doch Spaß. Oder?