Jens Kerbel

FOTOGALERIE

 

 

DER HIMMEL ÜBER DER RUHR

 

Eine Heimatsuche in Bildern, Texten und Tönen zur Eröffnung der 36. Duisburger Akzente

 

 

 

 

  

 

"Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildene und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat." (Ernst Bloch - Das Prinzip Hoffnung)

 

Des Menschen Beziehung zur Heimat ist, so scheint es wenigstens, komplizierter als jede Ehe: Fast jeder braucht sie, doch fast niemand weiß, wo und was sie eigentlich ist. Ist sie an einen Ort gebunden oder kann ein Mensch, ein Haus, ein Tier sie ersetzen? Wie verändert sie sich, wenn man von da, wo man geboren wurde, weggeht, flüchten muss, vertrieben wird? Wie unterscheidet sich von Land zu Land, von Kultur zu Kultur, Generation zu Generation, was wir brauchen, um uns irgendwo heimisch zu fühlen?

 

Im Auftrag der 36. Duisburger Akzente hat das Team um die Regisseure Jennifer Whigham und Jens Kerbel un den Musiker Peter Engelhardt sich auf die Suche nach der Heimat gemacht, hat Dichter und Forscher befragt, Literatur und Musik durchforstet und mit Duisburger Bürgern darüber gesprochen, was Heimat für sie bedeutet, was das Leben in Duisburg und dem Ruhrgebiet charakterisiert. Was ihre Suche zutage gefördert hat, zeigen sie anläßlich der Festivaleröffnung in einer Montage aus Bildern, Texten und Musik. 

 

 

 

  P E T projects 

 Inszenierung: Jennifer Whigham und Jens Kerbel

 Musikalische Leitung: Peter Engelhardt

 Dramaturgie: Kristina Wydra

 Bühne: Gesine Kuhn

 Kostüme: Sigrid Trebing

 Chorleitung: Annegret Keller-Steegmann

 Video: Halil Özet

 

Mit: Bettina Marugg, Sabine Osthoff, Tatjana Pasztor und Hilmi Sözer - Band: Peter Engelhardt (Gitarre), Volker Kamp (Bass/Gesang), Stefan Lammert (Drums), Miriam Hardenberg (Cello/Gesang), Jim Campbell (DJ)

 

 

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PRESSE:

 

 

WAS IST HEIMAT?

 

Duisburg. Mit einer vielschichtigen Inszenierung aus Bildern, Texten und Tönen sowie zahlreichen Akteuren wurden die 36. Duisburger Akzente in der Gebläsehalle des Landschaftsparks eröffnet.

 

Nachdem die Eröffnung der Duisburger Akzente im vergangenen Jahr an das Theatertreffen gekoppelt wurde, konnten die Organisatoren um Kulturdezernent Thomas Krützberg und Festivalleiter Frank Jebavy die 36. Ausgabe des renommierten Kulturfestivals wieder mit einer eigenen Eröffnungsveranstaltung starten. Der Auftakt fand am Freitagabend nach sieben Jahren Abstinenz mal wieder im Landschaftspark statt. Damals, 2008, wie heute, führten die Bonner Theatermacher Jennifer Whigham und Jens Kerbel Regie bei der Eröffnungsinszenierung.

 

"Lassen Sie die Akzente erneut zu dem werden, was sie sind: nämlich ein Forum für alle, die Emotionen, Fragen und Debatten - diesmal zum Thema Heimat - anstoßen wollen", forderte Oberbürgermeister Sören Link in seiner Begrüßung die geladenen Gäste des im Foyer der Gebläsehalle stattfindenden Empfangs auf. Zugleich erinnerte er daran, dass sich derzeit rund 50 Millionen Flüchtlinge weltweit aus ihrer Heimat vertrieben auf der Suche nach Sicherheit und Menschenwürde befänden.

 

Flucht und Vertreibung, die Suche nach Arbeit und Geborgenheit, Orte des Geborenseins und Wohnens, der Blick zurück nach vorn und in das Innere des Menschen: von alledem handelt die Auftragsproduktion der diesjährigen Akzente-Eröffnung "Der Himmel über der Ruhr". Sowohl in Anlehnung an den Wim Wenders Film "Der Himmel über Berlin" als auch an das einstige Wahlkampfmotto von Willy Brandt "Der Himmel über der Ruhr muss wieder blau werden", steht das Ruhrgebiet im Allgemeinen und Duisburg im Besonderen im Zentrum der musikalisch-theatralischen Heimatsuche des Regiegespanns Whigham/Kerbel. Auch hier wird - wie bereits im Wenders Film - die Handlung von Peter Handkes Gedicht "Lied Vom Kindsein" umrahmt, das Schauspielerin Tatjana Pasztor hier über Video einspricht.

 

Auf der Bühne indes tummeln sich rund 60 Mitwirkende, darunter neben Pasztor die Schauspieler Bettina Marugg, Sabine Osthoff und Hilmi Sözer, eine fünfköpfige Band um den Oberhausener Gitarristen Peter Engelhardt, sechs Kinder aus Duisburg, 28 Jugendliche des Oberstufenensembles der Lise-Meitner-Gesamtschule sowie ein Gospelchor aus Moers. Um das "Daheim" der Erzählreise zu verorten hat Gesine Kuhn die Bühne mit zig Wohnzimmer- und Tischlampen bestückt und diese am Boden mit weißen Rechtecken umrahmt. Dieses Mosaik mutet an wie das Ruhrgebiet, das aus 52 aneinandergereihten Städten und Gemeinden einst als Montanregion gegründet wurde. Passend das Thema Kohle und Stahl aufgreifend, begeben sich die Protagonisten zu Beginn der Heimatsuche mit Grubenlampen ausgestattet, auf der nach unten führenden Treppe an der Rückwand der Gebläsehalle wie in einem Bergwerkstollen in die Tiefe - und damit eintauchend in die Geschichte des Reviers.

 

Neben dem Handke-Text verlesen die Schauspieler Antworten von Duisburgern auf Fragen einer Postkartenaktion, die im Vorfeld durchgeführt wurde, wie beispielsweise "Was bedeutet Heimat?" oder "Wie fühlt sich Heimat an?" Gerade mit diesen Texten wird die Vielschichtigkeit des Begriffs Heimat deutlich, der neben bio- und geografischen Koordinaten auch kulturelle und soziale Perspektiven beinhaltet. "Wo gehen wir denn hin", wird nach gut einer Stunde Aufführung zum Schluss gefragt. "Immer nach Hause", wird darauf Novalis zitierend geantwortet. Und das machten vermutlich auch die meisten Besucher nach der Vorstellung.

 

Von Olaf Reifegerste